Schmeckt´s, Liebling?

19. Januar 2018 von
Copyright: Anja Marschall 2017

Die Giftküche der Mörder von gestern und heute

In Deutschland werden pro Jahr kaum mehr als 30 Menschen durch Gift ermordet. Dank heutiger Analyseverfahren lohnt sich diese Art der Tötung für Täter nicht mehr. Das ist in der Literatur ganz anders. Da wird getröpfelt und gemischt, gemixt und geschüttelt. Ich gebe heute einen kleinen Einblick in verschiedene Arten von Giften sowie ihre Wirkungsweise, aber auch in die Alltagsarbeit von Kriminalbeamten am Auffindungsort in Fällen von Vergiftungen. Außerdem stelle ich Ihnen einige berühmte Morde mit alten und neuen Substanzen vor, damit Ihr nächster literarischer Giftmord den Leser überzeugt.

Paracelsus sagte schon im 16. Jahrhundert: „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift. Nur die Dosis bewirkt, dass ein Ding kein Gift ist.“ Das sind zwei Sätze, die allen Krimiautoren die Herzen höherschlagen lassen. Man kann mit allem töten? Wunderbar, dann müssen wir nur jene Gifte finden, die es unseren Ermittlern schwermachen, sie zu entdecken. Die Möglichkeiten, sich aus der Natur mit Giften zu versorgen, sind aber leider heutzutage denkbar ungeeignet, da ihre Gerüche, Wirkungsweisen und Symptome allgemeinhin bekannt sind. Und so findet man in der Realität nur noch selten Fälle von Vergiftungen durch pflanzliche und tierische Gifte, von denen der Schierling unter den Philosophen gefürchtet ist und die Tollkirsche mit ihrem Nervengift Atropin zu den Klassikern gehört. Auch Herbstzeitlose oder der Knollenblätterpilz stehen bei Giftmördern nicht mehr so hoch im Kurs wie noch bei Agatha Christie & Co. Auch Klassiker wie das Lieblingsgift der Borgias, Arsen, werden heute nicht mehr oft genutzt, obwohl man nur 60 bis 170 mg benötigt um einen ausgewachsenen Mann niederzustrecken. Arsen ist einfach zu bekannt, und seit James Marsh 1836 ein Verfahren zum Nachweis von Arsen gefunden hat und Rattengifte heute anders zusammengesetzt sind als noch vor fünfzig Jahren, ist dieses Gift immer unattraktiver geworden. Stattdessen mordet man heute lieber chemisch.

Chemische Giftcocktails sind heute en vogue

„Giftmorde sind heutzutage selten“, sagt Professor Wolfgang Eisenmenger, Chef der Rechtsmedizin der Universität München, „dafür aber kennen sich die Täter bestens im Periodensystem der Elemente aus.“ Das Auffinden chemischer Gifte wird umso schwieriger, je komplexer die Kombination von Wirkstoffen ist, auf die der Mörder zurückgegriffen hat. Hierbei kann es sein, dass jeder Stoff für sich genommen nicht tödlich ist, die Mischung jedoch schon. Alkohol in Kombination mit Drogen wie Amphetaminen oder Cannabis; Arzneimittel wie Antiepileptika kombiniert mit Herz-Kreislaufmitteln und Sedativa, all das ist garantiert tödlich. Dazu bedarf es nicht einmal einer eklatant höheren Dosierung. Man könnte es aber auch mit Frostschutzmittel, Klebstoffen, Verdünnern und Reinigungsmitteln versuchen. Anorganische Gifte wie beispielsweise Thallium, Chlorwasserstoff und Kohlenmonoxid erfreuen sich ebenfalls großer Beliebtheit.

Gerade Medikamente sind bei Mördern noch immer beliebt. Nehmen wir die „Schwarze Witwe von Wien“. Sie tötete in den Jahren 1992 bis 1995 sechs Menschen mit Hilfe der Überdosis eines Antidiabetikums, also eines Mittels gegen die Zuckerkrankheit. Das Mittel hatte der Arzt ihr verschrieben und es lag frei im Haus herum. Die Überdosis bei Gesunden führt zu massivem Absinken des Blut-Glukosespiegels. Es kommt zu Erregtheit, Tremor in den Fingern, Heißhunger, Verwirrtheit, Krämpfen und am Ende zu Koma und Tod. Sechs Menschen starben, bevor man ihr auf die Schliche kam.

Vierzig Jahre zuvor ermordete Christa Lehmann im Nachkriegsdeutschland ihren Mann, die Schwiegermutter, die Freundin und den Hund mit E605, einem braunflüssigen, nach Knoblauch riechenden Pflanzenschutzmittel. Dieses Nervengift kommt auch in der Natur vor. Tiere machen sich solche Neurotoxine zu Nutze: Zur Verteidigung (Bienen und Wespen), zum Töten von Beutetieren (Giftschlangen, Pfeilgiftfrösche, Quallen, Giftspinnen) und zum Schutz vor potentiellen Fressfeinden und Schädlingen (Tollkirsche, Eibe, grüner Knollenblätterpilz). Im Fall der Christa Lehmann aber erkannten die Ärzte das Gift nicht. Mal diagnostizierten sie einen Magendurchbruch (Opfer 1 litt an Magengeschwüren), mal Herzversagen (Opfer 2 war über 70 Jahre alt). Noch erfolgreicher mit E605 war Maria Velten, die Giftmischerin vom Niederrhein, die sechs Menschen zwischen 1963 und 1982 tötete und nur überführt wurde, weil eine ihrer Schwiegertöchter etwas ahnte. Wir sehen also, dass die Hausärzte, die den Totenschein ausstellen Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg eines Mordes durch Vergiftung sein können und sich unbeabsichtigt zum Helfer eines Mörders machen. Nur wenn ein Verdacht besteht, kann die Polizei eingreifen. Der Nachweis von Pflanzenschutzmitteln ist in der Forensik schnell erbracht, in dem man bspw. Maden in die Bauchhöhle des Toten legt. Sterben sie kurz darauf, kann man von einem Pflanzengift wie E605, Sarin oder Tabun, aber auch Arsen ausgehen.

Während oral eingenommene Gifte relativ einfach nachzuweisen sind, ist dies bei Gasen schon schwieriger. Beispielsweise kann eine Überdosis des Betäubungsmittels Halothan nur entdeckt werden, wenn die entnommenen Blutproben sofort eingefroren werden, da Halothan bei minus 50 Grad Celsius bereits verdampft. Anders Kohlenmonoxid, das noch ein halbes Jahr nach Todeseintritt im Blut des Opfers nachweisbar ist.

Tod den Klassikern

Jemanden mit Kohlenmonoxid um die Ecke zu bringen ist heutzutage total out. Der Klassiker mit der Gasleitung klappt heute nicht mehr, denn das Erdgas ist mittlerweile so zusammengesetzt, dass das tödliche Kohlenmonoxid als Abbauprodukt nicht mehr entsteht. Also, Kopf raus aus dem Gasofen. Hier taugt eher eine Anwendung von KO-Tropfen, zur Sedierung des Opfers und einem vorgetäuschten Selbstmord mit Autoabgasen. Stattdessen findet man heute vornehmlich Pflanzenschutzmittel, wie E605, oder Medikamente und Cyanid als Todesursache. Trendy ist heute auch Mophium. Starben Anfang der siebziger Jahre gerade einmal zehn Prozent aller Opfer an Morphin sind es heute 71 Prozent.

Der Renner: Thallium

Besonders beliebt sind heutzutage Metallverbindungen, da sie zumeist erst nach einigen Tagen töten. Hier hat das Thallium eine gewisse Berühmtheit erlangt, welches von der Stasi 1981 bei einem Fluchthelfer namens Welsch angewendet wurde. Sein Schicksal wurde in „Der Stich des Skorpions“ sogar verfilmt. Thallium ist das gängigste Gift unserer Zeit. Das silberweiße Metallpulver ist geruch- und geschmacklos und lässt sich unbemerkt in die Nahrung mischen. Ein Gramm Thallium genügt, um einen Erwachsenen zu töten. Eine Thallium-Vergiftung ist tückisch, weil Symptome erst nach Tagen auftreten: Magenschmerzen, Haarausfall, Nieren- und Leberversagen, Koma, Tod. Thallium wirkt, wie Polonium, langsam und endet für das Opfer qualvoll. Es entsteht bei der Herstellung von Schwefelsäure und beim Schmelzen von Blei und Zink. Man findet Thallium in Rattengift oder Insektiziden. Thallium wird leicht über die Haut aufgenommen, wie auch über die Atmung oder den Verdauungstrankt. Es kann vom Körper nicht abgebaut werden und es gibt kein Gegenmittel. Da Thallium wasserlöslich ist, kann es problemlos über das Grundwasser verbreitet werden. 1981 vergiftete ein Unbekannter in Würzburg Studenten mit thalliumhaltigem Fruchtsaft.

Todbringende Samen

In viel kleineren Dosen hingegen ist Ricin tödlich. Ein tausendstel Gramm tötet einen Menschen. Es stammt aus Rizinussamen, ein Gegenmittel gibt es nicht. Am 11. September 1978 stand der bulgarische Journalist Georgi Markow an einer Haltestelle in London und wartete auf den Bus. Plötzlich spürte er einen Stich im Bein. Er drehte sich um – und blickte in den Regenschirm seines Nachbarn. Drei Tage später war Markow tot. Im Oberschenkel fanden die Ärzte ein mit Ricin präpariertes Kügelchen, so klein wie eine Zecke. Ebenso mortal ist der Samen der Paternostererbse, in dem sich das Gift Abrin befindet. Eine tägliche Dosis von Ricin oder Abrin führt zum Zelltod. Das Gift wird durch Kochen zerstört ist aber im Darmtrakt wirksam. Nach Durchfall und Erbrechen tritt der Tod etwa zwei bis drei Tage später ein. Sollte das Gift ins Blut gelangen, stirbt das Opfer innerhalb weniger Stunden. So erging es dem bulgarischen Regimekritiker Georgi Markow 1978.

Ein Profi packt aus

Wie gehen Profis im Falle eines möglichen Giftmordes vor? Mein Informant beim BKA sagte mir, er habe bisher nur vier Mordfälle durch Vergiftung miterleben müssen. Und das nach 23 Jahren Einsatz. Dennoch ist die Vorgehensweise immer gleich: Er und seine Kollegen suchen am Auffindungsort nach Hinweisen eines Suizids durch Vergiftung, wenn es keine offensichtlichen Hinweise auf Gewalt gibt. Finden sich an Gläsern oder Flaschen Ablagerungen von möglicherweise giftigen Substanzen? Wonach riecht es am Auffindungsort? Liegen Medikamentenschachteln u. ä. herum? Auch die Schrift auf Abschiedsbriefen lässt Schlussfolgerungen zu, ob es sich um einen Suizid handelt, oder ob Zweifel angebracht sind, denn die Handschrift verändert sich bei zunehmender Wirkungsentfaltung des Giftes. Erfahrungsgemäß nehmen die meisten Selbstmörder erst das Gift und schreiben dann ihren letzten Brief. Ein Brief in gestochen scharfer Schrift würde bei meinem BKA-Mann Verdacht erregen. Wichtig für die Ermittlungen ist, dass bei der Leiche jene Dinge liegen, die die Polizei dort auch erwartet. Tabletten, Alkohol, Flaschen, Nadelbesteck, Trinkgefäße mit Rückständen, Abschiedsbrief o.ä. Doch die Ermittler stellen sich auch weitere Fragen: Hatte der Verstorbene beruflich oder privat Kontakt zu den Giften, die ihn töteten? Könnte es ein Unfall gewesen sein? Wie sah der Tagesablauf des Toten aus? Ist es erwartungsgemäß, dass der Tote zu dieser Zeit an diesem Ort war? In welchem Milieu bewegte sich der Tote zuvor? Kann der Hausarzt etwas über Rezepte und regelmäßig eingenommene Medikamente sagen? Und vor allem: Wie kam das Gift in den Körper? Dabei haben die Beamten das Problem, dass durch eine einfache, äußere Leichenschau eine Vergiftung nur sehr schwer erkennbar ist. Hat der Tote helle, rosafarbene Totenflecken, kann zumindest eine Kohlenmonoxid Vergiftung angenommen werden. Auch die Pupillengröße gibt gewisse Hinweise. So sind die Pupillen weit bei einer Vergiftung durch Atropin, Zyanid und Methanol. Eng hingegen bei einer Nikotin- oder Opiatvergiftung. Besteht der Verdacht einer Vergiftung, doch es gibt keine Symptome, untersucht man die Körperflüssigkeiten des Toten nach Gruppen von Substanzen. Bei Pflanzenschutzmitteln können Enzyme Hinweise geben. Bei Verdacht auf eine Pilzvergiftung der Mageninhalt, wo man hofft, säureresistente Sporen zu finden.

Eine Vergiftung kann nur durch den eindeutigen chemisch-analytischen Nachweis des Giftes im Körper bewiesen werden. Routinemäßig werden Urin, Leber, Hirnmaterialien, Mageninhalt, Herzblut, Nierenmaterial, Glaskörperflüssigkeit des Auges, Venenblut und Haare als postmortem Materialien aufbewahrt und stehen somit auch für spätere Untersuchungen zur Verfügung.  Venenblut ist hier am aussagekräftigsten, weil es den Zustand bei Eintritt des Todes charakterisiert. Der Urin liefert keine Hinweise darüber, wie viel Gift verabreicht wurde und eine Untersuchung der Haare macht nur bei chronischem Missbrauch Sinn. Der Versuch, einen Gifttoten anschließend zu verbrennen, hilft dem Täter übrigens nicht, da die toxikologischen Möglichkeiten auch in diesen Fällen gute Ergebnisse bringen. Selbst nach einem Brand können die Fachleute herausfinden, ob der Tote zuvor Alkohol getrunken hatte und in welchem Maße, ob Cyanid im Spiel war, ob es Selbstverbrennung oder Mord war.

Für einen talentierten Mörder mag Paracetamol eine Alternative zum schwer käuflichen Thallium sein – wobei ich annehme, dass Thallium und Polonium mittlerweile im Darknet auch in handlichen Verpackungsgrößen erhältlich sind. Seit ein paar Jahren werden der deutschen Giftinformationszentrale alljährlich mehrere tausend Paracetamol-Vergiftungen gemeldet. Die Gesellschaft für klinische Toxikologie schätzt, dass etwa zwei Drittel davon in »selbstschädigender Absicht« erfolgten. Zum Vergleich: Im selben Jahr nahmen sich in Deutschland rund 9800 Menschen das Leben. Wird ein Suizidversuch mit Paracetamol rechtzeitig entdeckt, sind die Chancen auf Rettung ausgesprochen gut. Fast alle überleben. Doch was ist, wenn es kein Suizid ist, sondern ein Mordversuch vorliegt? Dann muss der Mörder nur dafür sorgen, dass dem Opfer als Antidot kein N-Acetylcystein zur Verfügung steht. Das ist ein Hustenlöser, der als hochdosierte Infusion dem Opfer das Leben retten kann. Bis dahin sind die Symptome unauffällig: Übelkeit, Erbrechen, Blässe und Oberbauchbeschwerden treten auf. Danach aber steigen die Leberwerte an, während die Blutgerinnungswerte sinken. Der Grund ist die Schädigung der Leber. Klinisch äußert sich das in Symptomen wie Gelbsucht, Unterzuckerung und gesteigerter Blutungsneigung. Nach etwa fünf Tagen kommt es zu Krämpfen, Kollaps, Koma und schließlich zum Tod. Welche Dosis letal ist hängt vom Opfer und seiner Konstitution ab. Man geht derzeit von ca. 7,5 Gramm aus.

Wenn Sie noch weitere Inspirationen für cleveres Killen suchen, empfehle ich Ihnen folgende Bücher, die von mir und meinen KollegInnen gerne zur Hand genommen werden:

Giftpflanzen-Pflanzengifte; Vorkommen, Wirkung, Therapie, allergische und photoxische Reaktionen; Autoren: Roth/Daunderer/Kormann; Nikol-Verlag; ISBN 978-3868200096; 9,99 €

Mein Lieblingsbuch: Deadly Doses – a writer’s guide to poison; Autoren: Stevens, Klarner; Allerdings ist es schon älter und berücksichtigt nicht die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Jedoch absolut lesenswert.

Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie; Autor: Mutschler, ISBN 978-3804719521 (recht teuer, gibt es aber auch gebraucht)

Außerdem gibt es verschiedene Fachlexika für Toxikologie.

 

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